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Seit 2021 sind zwei neue Arten von Urlaub für pflegende Angehörige eingeführt worden. Davon profitieren Eltern kranker Kinder und alle Erwerbstätigen, die einen Verwandten ohne direkte familiäre Beziehung und ohne rechtliche Verpflichtung unterstützen und pflegen. Es gibt verschiedene Formen von Urlaub, die den Begünstigten auf unterschiedliche Weise ausgezahlt werden. Hier finden Sie eine Übersicht über alle Formen von Urlaub für pflegende Angehörige.

 

Kurzurlaub zur Pflege von Angehörigen (3 Tage)

Die Tatsache, Elternteil zu sein - und damit die Verantwortung für ein Kind zu haben - verleiht dem Arbeitnehmer einen besonderen Status vor dem Gesetz. Die Versorgung eines kranken Kindes ist eine gesetzliche Pflicht (Art. 276 CC). Aus diesem Grund muss der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin Arbeitnehmenden mit Familienpflichten gegen Vorlage eines Arztzeugnisses eine Freistellung von der Arbeit für die Zeit gewähren, die für die Betreuung eines kranken Kindes erforderlich ist, und zwar bis zu drei Tagen (Art. 36 Abs. 3 LTr) pro Krankheitsfall. Die Gesamtzahl der Urlaubstage pro Jahr ist nicht begrenzt, wenn es sich um die eigenen Kinder handelt.

Seit dem 1. Januar 2021 müssen diese drei Urlaubstage vom Arbeitgeber bezahlt werden, ohne dass der Lohn gekürzt wird. Als Familienmitglieder gelten neu Verwandte in auf- und absteigender Linie (hauptsächlich die Eltern und die Kinder) und die Geschwister. Hinzu kommen die Ehegattin bzw. der Ehegatte, die eingetragene Partnerin bzw. der eingetragene Partner, die Schwiegereltern sowie die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner, die oder der mit der arbeitnehmenden Person seit mindestens fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führt. Onkel, Tanten und Cousins und Cousinen sind in dieser Definition nicht enthalten. Ein Arbeitnehmer hat Anspruch auf höchstens zehn Tage Urlaub pro Jahr, um einen Angehörigen zu pflegen.

Der Kurzzeiturlaub ist im Obligationenrecht (Art. 329 h) und im Arbeitsgesetz (Art. 36, Abs. 3 und 4) definiert.

 

Langer Urlaub und Pflegegeld (bis zu 14 Wochen)

Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen müssen, um ihr minderjähriges, schwer erkranktes Kind zu betreuen, können einen Urlaub von bis zu 14 Wochen nehmen, der mit einer Entschädigung in Höhe von 80 % des AHV-pflichtigen Einkommens abgegolten wird. Die Anzahl der Tagegelder umfasst auch die Wochenenden, so dass der Anspruch 98 Tage (7 x 14 Wochen) beträgt. Die Entschädigungen werden von Erwerbsersatzordnung (EO) gezahlt, bei der alle Arbeitnehmer obligatorisch versichert sind.

Beide Eltern haben Anspruch auf insgesamt 14 Wochen, die sie nach Belieben aufteilen können. Sie müssen jedoch ihren Arbeitgeber so schnell wie möglich informieren. Die Tatsache, dass ein Elternteil nicht arbeitet, bedeutet nicht, dass der arbeitende Elternteil keinen Anspruch auf dieses Recht hat.

Der Familienstand der Eltern ist unerheblich. Zum Zeitpunkt der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit müssen sie eine der folgenden Bedingungen erfüllen:

  • sie sind erwerbstätig oder selbständig
  • sie arbeiten im Unternehmen ihres Ehegatten/ihrer Ehegattin oder Lebenspartners/Lebenspartnerin und erhalten dafür ein Bargeld;
  • sie erhalten Taggelder von der Arbeitslosenversicherung;
  • sie sind arbeitsunfähig aufgrund von Krankheit oder Unfall und beziehen daher Taggelder aus einer Sozial- oder Privatversicherung;
  • sie stehen in einem Arbeitsverhältnis, erhalten aber keinen Lohn mehr, weil ihr Anspruch auf Lohnfortzahlung oder Taggelder erschöpft ist.

Ein Stiefvater oder eine Stiefmutter kann Anspruch auf Betreuungsgeld haben, wenn er oder sie im selben Haushalt lebt wie ein Elternteil, der die alleinige oder gemeinsame elterliche Sorge hat.

Pflegeeltern haben Anspruch auf die Beihilfe, wenn sie das Kind auf Dauer aufgenommen haben, um es zu pflegen und zu erziehen. Pflegeeltern werden als solche anerkannt, wenn sie ein minderjähriges Kind außerhalb des Elternhauses aufnehmen und von der zuständigen Behörde eine entsprechende Genehmigung erhalten haben.

Die Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Kindes muss nachgewiesen werden. Der Bedarf an Pflege und Betreuung muss erheblich und dauerhaft sein und durch ein ärztliches Attest belegt werden. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Gesundheit liegt vor, wenn

  • das Kind hat eine wesentliche Veränderung seines physischen oder psychischen Zustands erfahren
  • die Entwicklung dieser Veränderung schwer vorhersehbar ist oder zu einer dauerhaften oder zunehmenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes oder zum Tod führen kann;
  • es besteht ein erhöhter Bedarf an elterlicher Betreuung, und
  • mindestens ein Elternteil muss seine Erwerbstätigkeit unterbrechen, um das Kind zu betreuen.

Der Urlaub kann in Wochen oder einzelnen Tagen innerhalb eines Rahmenzeitraums von 18 Monaten bezogen werden.

Eltern, die Betreuungsurlaub nehmen, sind während des Urlaubs und für einen Zeitraum von sechs Monaten ab dem ersten Tag des Urlaubs vor Kündigung geschützt. Der Ferienanspruch von Arbeitnehmern, die einen langen Betreuungsurlaub nehmen, darf vom Arbeitgeber nicht gekürzt werden.

Siehe auch Informationen aus dem Bundesamt für Sozialversicherungen.

 

Über das Gesetz hinaus

Einige Arbeitgeber haben begriffen, dass sie Lösungen für Angestellte anbieten müssen, die in ihrem Privatleben Care-Aufgaben übernehmen. Sie haben erkannt, dass das Engagement bei dieser «Zweitarbeit», aber auch die Belastung mit der Zeit zunimmt, und festgestellt, dass ihre Mitarbeitenden die entsprechenden Folgen tragen, auch an ihrem Arbeitsplatz: Müdigkeit, Erschöpfung, Angst, körperliche Schmerzen, Krankheiten, Abwesenheiten usw. Insbesondere Frauen machen alles, um durchzuhalten – um jeden Preis –, häufig zulasten ihrer Gesundheit und letztlich ihrer Produktivität.

Teuer für den Arbeitgeber: qualifizierte Angestellte verlieren

Falls finanziell machbar, verringern Betroffene manchmal ihren Beschäftigungsgrad oder geben ihre Berufstätigkeit gar ganz auf, um sich der Betreuung und/oder Pflege ihrer Angehörigen zu widmen. Wenn ein Arbeitgeber so Angestellte verliert, führt dies zu Zusatzkosten: Die Person muss ersetzt, eine neue eingestellt und während einer bestimmten Zeit geschult werden. Auf jeden Fall gehen Berufserfahrung, das Know-how der betreffenden Person über das Unternehmen, ihre Arbeitsweise und ihr spezifisches Umfeld verloren.

Daher haben einige Arbeitgeber in weiser Voraussicht entsprechende Regelungen erarbeitet und Massnahmen getroffen, um nun situationsgerechte Lösungen für pflegende Angehörige anzubieten. Folglich ist es sehr wichtig und legitim, dass Sie sich über das Vorhandensein einer solchen Politik an Ihrem Arbeitsplatz informieren.

Erkundigen Sie sich, was Ihr Arbeitgeber vorgesehen hat

Ihre direkte vorgesetzte Person, der Personaldienst oder eine Sozialberatungsstelle innerhalb des Unternehmens sollten Bescheid wissen und Sie informieren können. Im Intranet finden Sie eventuell ebenfalls Informationen. Oder vielleicht gibt es eine Broschüre zum Thema?

Falls Sie nichts finden, müssen Sie selbst den Dialog mit Ihrem Arbeitgeber suchen, Vorschläge machen und Lösungen aushandeln, die für Sie, aber auch für Ihren Arbeitgeber passen.

Die Rubrik Am Arbeitsplatz – Organisation und Koordination hilft.

Lassen Sie sich von den guten Praktiken anderer Arbeitgeber inspirieren

Beispiele guter Praktiken können die Diskussion anregen und es einfacher machen, gute Lösungen für Sie wie für Ihren Arbeitgeber zu übernehmen. Folgende Beispiele zeigen, welche Vereinbarungen die Gewerkschaften von Travail.Suisse mit einigen Grossunternehmen in den Gesamtarbeitsverträgen (GAV) zugunsten des gesamten Personals aushandeln konnten.

Transportbranche – GAV SBB

Der GAV SBB unterstützt die Vereinbarkeit von Beruf und privater Care-Arbeit mit verschiedenen Regelungen. Bei einem Unfall oder einer plötzlichen Krankheit wird für eine Abwesenheit aus familiären Gründen pro Einzelfall ein bezahlter Urlaub von bis zu zwei Tagen gewährt, ebenso für die Begleitung am Sterbebett. Dieser Urlaub kann verlängert werden. Teilzeitarbeit wird auf allen Stufen und in allen Formen gefördert. Telearbeit ist im beidseitigen Einvernehmen möglich. Es werden Arbeitsmodelle angeboten, die auf die Lebenslage der Angestellten abgestimmt sind. So kann ein bestimmtes Zeit- oder Geldguthaben angespart werden, das später in Form eines verlängerten Urlaubs, einer individuellen Reduktion der Arbeitszeit oder einer frühzeitigen Pensionierung bezogen werden kann.

Branche Post und Logistik – GAV Post

Die Regelungen zur Förderung der Vereinbarkeit sind in einem Grundsatzartikel enthalten, der eine Unterstützung von Mitarbeitenden mit familiären Betreuungsverpflichtungen durch das Unternehmen gewährleistet, zum Beispiel bei der Planung von Arbeitseinsätzen, durch die Anpassung des Beschäftigungsgrads und/oder die Gewährung von unbezahlten Urlauben. Bei den bezahlten Abwesenheiten wird explizit die plötzliche Erkrankung der Lebenspartnerin / des Lebenspartners, eines Elternteils oder eines Kindes genannt, mit einer Abwesenheit von bis zu einer Woche. Fällt die Erkrankung in die Ferien, so können die Ferientage nachbezogen werden.

Bei der Post gibt es ausserdem ein Sozialberatungsangebot zu verschiedenen Themen betreffend die pflegenden Angehörigen.

Kommunikationsbranche – GAV Swisscom

Die Vereinbarkeit von Beruf und privater Care-Arbeit erfolgt über bezahlte Absenzen bei plötzlicher schwerer Erkrankung der Lebenspartnerin / des Lebenspartners, eines Elternteils oder eines Kindes oder über temporäre Zeitkonten (mit einer maximalen Laufdauer von 3 Jahren), die einem späteren Bezug der Stunden im Zusammenhang mit einem festgelegten Verwendungszweck dienen. Der GAV Swisscom sieht zwei Arbeitsmodelle vor, die die Unterstützung dieser doppelten oder gar dreifachen Rolle ermöglichen. Das Gleitzeitmodell «Pflegezeit » ist für Mitarbeitende konzipiert, die ihre Arbeitszeit meist kurzfristig reduzieren müssen. Das ist möglich, jedoch nur für eine begrenzte Dauer (höchstens 3 bis 4 Monate). Für längere Perioden der Vereinbarkeit (mindestens 3 und höchstens 12 Monate) garantiert das Arbeitszeitmodell «befristete Arbeitszeitreduktion» der betreuenden angehörigen Person die Möglichkeit, ihren Beschäftigungsgrad wiederzuerlangen.

Öffentliche Verwaltung – Bundespersonalgesetz

Dem Bundespersonal wird bezahlter Urlaub gewährt im Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls eines Familienmitglieds, des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin für die erste Pflege und die Organisation der weiteren Pflege. Eine Unterhaltsleistung wird gewährt, falls der Lebenspartner bzw. die Lebenspartnerin wegen einer schweren Erkrankung langfristig nicht mehr berufstätig sein kann.

Die Bundesverwaltung ermöglicht es ihren Mitarbeitenden, die Beratung der externen Organisation profawo kostenlos in Anspruch zu nehmen. Sie können sich ausserdem an bestimmte Vertrauenspersonen innerhalb der Organisation wenden.

 

Impulse, die Veränderungen auslösen

  • Prädikat «Familie UND Beruf»

Es existieren gute Praktiken. Mehrere Unternehmen, Verbände und Verwaltungen wurden nach einer 9- bis 18-monatigen Analyse von der Fachstelle UND mit dem Prädikat «Familie UND Beruf» ausgezeichnet.

  • Bewertung

Die Angestellten können ihren Arbeitgeber unter dem Blickwinkel der Massnahmen beurteilen, die zu einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit mit Familien- und Privatleben, einschliesslich Care-Aufgaben, beitragen. Auf der von Pro Familia Schweiz betreuten Website www.familyscore.ch werden alle bereits bewerteten Unternehmen aufgeführt.

  • Information

Pro Familia Schweiz bietet ebenfalls eine Website an mit Informationen für Angestellte und Unternehmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familienleben im weitesten Sinn: www.jobundfamilie.ch

  • Coaching für Unternehmen

Allenfalls zeigt Ihr Arbeitgeber dank Ihrer persönlichen Situation bei einer nächsten Diskussion erstmals Interesse. Es gibt Organisationen, die für Arbeitgeber Begleitung, Beratung und Schulung anbieten. Geben Sie Ihrem Arbeitgeber die Organisationen an, die seinem Bedürfnis gerecht werden. Das Forschungsinstitut Careum Forschung sowie die Fachstelle UND haben ein arbeitgeberspezifisches Angebot entwickelt (siehe nächstes Kapitel).

 

Interventionen Dritter im Unternehmen

Um den Unternehmen zu helfen, die Massnahmen zu definieren und einzuführen, die ihren sowie den Bedürfnissen ihres Personals entsprechen, kommen Fachkräfte auf Wunsch ins Unternehmen.

 

Fachstelle UND: Familien- und Erwerbsarbeit für Männer und Frauen

Die Fachstelle UND ist das führende Schweizer Kompetenzzentrum für die Umsetzung der Vereinbarkeit von Familienarbeit und Berufstätigkeit. Seit 1992 unterstützt UND berufstätige Männer und Frauen mit familiären Pflichten bei der Umsetzung von Lösungen, die ihren Bedürfnissen entsprechen, und setzt sich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft besser werden.

UND bietet Beratung für Privatpersonen (Frauen, Männer, Paare), die ihre Kinder und/oder ältere Angehörige betreuen, und unterstützt sie bei der täglichen Organisation im Berufs- und im Privatleben, damit sie die gewünschte Arbeitsaufteilung erreichen. UND bietet Begleitung bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung an.

Das an Unternehmen gerichtete Angebot der Fachstelle UND umfasst Workshops, Seminare, Standortbestimmungen und Analysen sowie die Begleitung von Personalverantwortlichen, Führungskräften und Projektgruppen bei der Umsetzung von Massnahmen. Seit 2008 zeichnet die Fachstelle UND Unternehmen mit den besten Praktiken im Bereich Vereinbarkeit mit dem Prädikat «Familie UND Beruf» aus.

Folgende Themen behandelt die Fachstelle UND (in alphabethischer Reihenfolge):

  •     Arbeitsaufteilung zwischen den Partnern / innerhalb der Familie
  •     Arbeitsbedingungen
  •     Arbeitszeit
  •     Eltern werden
  •     Familien- und Hausarbeit
  •     Förderung/Nachweis/Bewertung von Schlüsselkompetenzen
  •     Gesundheitsförderung
  •     Kinderbetreuung / Pflege von Angehörigen
  •     Lohnpolitik/Finanzen/Sozialversicherungen
  •     Personalrekrutierung und -entwicklung
  •     Unternehmenskultur und Führungsstil
  •     Vereinbarung von Berufs- und Privatleben
  •     Weiterbildung und Laufbahnentwicklung

Die Fachstelle UND wird von einem privaten Verein finanziert. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützt die Fachstelle im Rahmen der vom Gleichstellungsgesetz vorgesehenen Finanzhilfen.

www.und-online.ch / info@und-online.ch

Movis

Beratung und Unterstützung für Mitarbeitende, Führungskräfte und Personaldienste bei persönlichen, sozialen und gesundheitlichen Probleme in der Arbeitswelt.

www.movis.ch

Familizy

Assistance Dienstleistunge (my kids, my parents, my life, my home) in der ganzen Schweiz. Beratungen bei Unternehmen.

www.familizy.ch

 

Weiterführende Informationen

Dokument "Verhandlungshilfe" (PDF)

verhandlungshilfe.pdf

Die verschiedenen Arbeitsmodelle (PDF)

die_verschiedenen_arbeitsmodelle.pdf

 

Wichtige Informationen

Projekt Work and Care plus, von Careum Forschung (en allemand)

KMU-Check von der Fachstelle UND

Kampagne MenCare Switzerland, vom Dachverband männer.ch

WorkSmart Initiative: nternehmensübergreifende Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, flexible Arbeitsformen aktiv zu fördern. Anfangs 2016 haben circa 60 Unternehmen die Charta unterzeichnet.

Testimonial-Videos anschauen

Erfahren Sie, wie andere betreuende Angehörige, die Situation erleben.
Sie erzählen davon, wie sie ihre verschiedenen Aufgaben miteinander vereinbaren.

Ich habe viele Fragen

Wir haben die häufigsten Fragen zusammengestellt. Sie werden dort sicherlich erste Antworten finden.